Eltern-Kind-Beziehung: Auch Affenkinder haben Bindungsstile

Äffchen entwickeln unterschiedliche Bindungsstile – ganz ähnlich wie Menschenkinder. Das zeigt eine Studie, die Mitte Mai 2025 im Fachblatt »Nature Human Behaviour« erschienen ist. Forschende um die Primatologin Eléonore Rolland vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig beobachteten vier Jahre lang insgesamt 50 Schimpansen im Taï-Nationalpark in der Elfenbeinküste. Auf Basis von mehr als 3700 Stunden Verhaltensbeobachtung analysierte das Team das Miteinander von Jungtieren und ihren Müttern. Besonders interessierte die Wissenschaftler, wie sich die Jungen bei Gefahr verhielten – etwa bei plötzlichen Geräuschen, Rangkämpfen oder Drohgebärden.
Mit statistischen Verfahren ließen sich verschiedene Gruppen identifizieren, die den so genannten »organisierten« Typen aus der psychologischen Bindungstheorie stark ähneln. Die erste Gruppe suchte bei Gefahr Schutz bei der Mutter, ließ sich zuverlässig trösten und erkundete in sicheren Momenten zunehmend selbstständig die Umgebung. Dieses Muster entspricht laut den Autoren dem, was man beim Menschen als sichere Bindung bezeichnet. Schimpansenjunge der zweiten Gruppe suchten deutlich weniger die Nähe der Mutter, gingen bei Bedrohung auf Distanz und versuchten, sich selbst zu helfen, etwa indem sie auf Bäume kletterten. Dieses Verhalten erinnerte die Forschenden an den unsicher-vermeidenden Bindungstyp. Er gilt – wie alle organisierten Bindungsstile – als strategische Anpassung, zum Beispiel für ein Kind, das mit einer emotional wenig zugänglichen Bezugsperson zurechtkommen muss.
Die dritte Gruppe suchte mehr als für ihr Alter üblich den Blick und die Nähe der Mutter. Das erinnerte zunächst an eine unsicher-ambivalente Bindung. Allerdings ließen sich die anhänglichen Äffchen – dafür untypisch – meist gut trösten. Die Forschenden vermuten daher, dass es sich eher um äußerst sensible, aber dennoch sicher gebundene Tiere handelt.
Was hingegen völlig fehlte: Zeichen einer desorganisierten Bindung. Diese entsteht beim Menschen meist durch sehr schlimme Erfahrungen mit Bezugspersonen und gilt als Risikofaktor für psychische Störungen. Bei den jungen Schimpansen zeigten sich aber weder stereotype Verhaltensweisen wie ein verstörtes Wippen noch Aggressivität gegenüber der Mutter – auch nicht bei Tieren, deren Mütter gelegentlich streng reagierten.
Dass sich desorganisierte Muster ausbilden und halten können, scheint eine menschliche Besonderheit zu sein, begünstigt durch komplexe soziale Strukturen. Bei den beobachteten Schimpansen war elterliche Gewalt selten, und Vernachlässigung kommt in der Wildnis zwar vor, hat aber schnell tödliche Folgen. Dazu passt, dass verwaiste Schimpansen, die in menschlicher Obhut leben, durchaus Anzeichen für eine desorganisierte Bindung zeigen.
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