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Aal-Wanderungen: Europas geheimnisvollstem Fisch auf der Spur

Junge Aale schwimmen Tausende von Kilometern nach Europa, und ein Teil muss die Meerenge bei Gibraltar bewältigen. Jüngste Forschungen zeigen, wie sie das schaffen. Bedroht werden sie dagegen durch menschengemachte Hürden, die den Bestand des Aals schrumpfen lassen.
Am sandigen Grund des Helenesees in Brandenburg, dem Restloch eines Braunkohletagebaus, zeigt sich ein Exemplar des Europäischen Aals.
Aale verstecken sich tagsüber in sandigem Boden. Hier zeigt sich ein Exemplar des Europäischen Aals am Grund des Helenesees in Brandenburg, dem Restloch eines Braunkohletagebaus.

Mächtige Felsen und eine starke Strömung, ein Nadelöhr zwischen zwei Kontinenten, mittendrin ein Forschungsschiff. Hier, in der Meerenge von Gibraltar, sah Marko Freese vom Thünen-Institut für Fischereiökologie im Süden die Küste Afrikas direkt vor sich; hinter ihm schien Europa fast zum Greifen nah. So wie das internationale Forschungsschiff »Meteor« nutzen zahlreiche Schiffe den einzigen Seeweg zwischen Atlantik und Mittelmeer. An seiner schmalsten Stelle ist er 14 Kilometer breit. Genauso ein Engpass ist die Straße von Gibraltar für den Verkehr unterhalb der Meeresoberfläche – insbesondere für junge Aale. Lange war rätselhaft, wie sie die Passage schaffen. Die mysteriöse Wanderung dieser Fische war der Anlass für Freeses Forschungsexpedition.

Vermutlich ein Jahr, bevor die Jungtiere der Aale hier bei Gibraltar ankommen, schlüpfen sie in der Sargassosee östlich Floridas. Von dort aus begeben sich die nur wenigen Millimeter kleinen, auch Weidenblattlarven oder Leptocephali (»schlanker Kopf«) genannten Fische auf eine lange Reise von mehr als 5000 Kilometern. Alle Europäischen Aale (Anguilla anguilla) stammen aus der Sargassosee. Die Larven gelangen schließlich an die Küsten von Nordeuropa bis zum Mittelmeer. Bei ihrer Ankunft sind sie fünf bis acht Zentimeter groß und verwandeln sich in Glasaale. Ihr durchscheinender Körper ist namensgebend für dieses zweite Lebensstadium, auf das noch weitere folgen.

»Die Straße von Gibraltar ist eine Schlüsselregion. Denn alle Aale, die später im Mittelmeer, in seinen Lagunen oder in Flüssen wie dem Nil vorkommen, müssen als Larven durch dieses Nadelöhr«, erklärt Freese. Mit einem internationalen Team untersuchte er, wie und wann genau Aallarven es durch diese Engstelle schaffen. Denn in der Straße von Gibraltar gibt es für die kleinen Larven ein Problem: »Durch das hohe Maß an Verdunstung und wenig Einstrom von Flusswasser ist das Mittelmeer salziger und schwerer und drückt in den Atlantik hinaus«, führt Freese aus. »Die Aallarven können nicht dagegen anschwimmen.«

Wie schaffen sie es dennoch ins Mittelmeer? »Wir haben festgestellt, dass die Gezeitenströmung des leichteren Atlantikwassers in den Oberflächenschichten für sie fast die einzige Möglichkeit zu sein scheint.« Diese Hypothese wurde bereits früher in der Forschungsliteratur formuliert. Dem Team um Freese ist erstmals der Nachweis gelungen, den es im Januar 2025 im Fachmagazin »Scientific Reports« veröffentlichte.

Suche nach der besten Welle

Das Forschungsschiff »Meteor« schwamm mit der Meeresströmung und zog hinter sich ein zwölf Meter langes Fangnetz mit einer eckigen Öffnung von sieben Quadratmetern. Tagsüber ließ das Team dieses so genannte Isaacs-Kidd Midwater Trawl (IKMT) von der Oberfläche bis in 200 Meter Tiefe absinken. Anschließend zog es das IKMT wieder hinauf. Nachts fischte die Forschungsgruppe hingegen nur in den oberen 100 Meter Tiefe, weil die Larven, wie viele Planktonorganismen, Vertikalwanderer sind: Sie steigen im Dunklen an die Oberfläche auf, während sie tagsüber in tieferen Gewässerschichten unterwegs sind. Das Ziel der Untersuchungen war es, zu ermitteln, bei welchen Bedingungen die meisten Larven durch die Engstelle kommen.

Da die Straße von Gibraltar ein viel befahrener Seeweg ist, standen für die Untersuchungen lediglich 24 Stunden zur Verfügung. In dieser Zeit waren sieben Züge mit dem Netz möglich. Mit an Bord war der physikalische Ozeanograf Luis Ferrer aus Spanien, der Daten eines Doppler-Echolots auswertete. Ein Echolot sendet akustische Impulse aus, die vom Meeresgrund oder einem Objekt reflektiert und dann wieder erfasst werden. »Das Doppler-Echolot ist so sensibel, dass es kleine Teilchen registrieren kann, die sich in der Wassersäule bewegen. Damit konnten wir messen, wie schnell das Wasser in welcher Tiefe fließt«, erklärt Freese. Die Ergebnisse entsprachen den Erwartungen des Teams: »In den oberen 100 Metern, wo durch die Gezeitenwellen die Wassermengen vom Atlantik ins Mittelmeer einströmen, genau da spielt die Musik. Die Larven müssen zur richtigen Zeit dort oben sein, um effektiv vom Atlantik ins Mittelmeer transportiert zu werden.« Der beste Zeitpunkt ist also immer dann nachts, wenn die Gezeitenflut nahe der Oberfläche durch die Meerenge von Gibraltar ostwärts strömt.

Bestände von Larven und Glasaalen sinken

Die Fachleute führten auf derselben Reise mit der »Meteor« noch ein weiteres Projekt durch. Von der Biskaya entlang der Iberischen Halbinsel bis ins Mittelmeer verglichen sie aktuell ermittelte Fangzahlen der späten Leptocephaluslarven, also kurz bevor diese sich zu Glasaalen umwandeln, mit Zahlen aus den Jahren 1973 bis 1991. Die Untersuchungen resultierten in einer weiteren Publikation im »ICES Journal of Marine Science« von Lasse Marohn, ebenfalls Forscher am Thünen-Institut für Fischereiökologie. Zusammen mit ihrem Institutsleiter Reinhold Hanel wies das Team um Marohn und Freese nach, dass die Anzahl weit entwickelter Aallarven entlang des europäischen Kontinentalhangs seit den 1980er Jahren stark abgenommen hat.

Dieser Befund stimmt in großem Maß mit dem Rückgang der Glasaale an den Flussmündungen überein. Unterdessen ist die Sterblichkeit in dieser letzten Larvenphase anscheinend nicht überproportional höher. Das Vorkommen von Aallarven könne also »als ergänzender Indikator dienen, um die Bestandsentwicklungen des Europäischen Aals zu bewerten«, folgert Marohn. »Besonders wertvoll wäre dies in Regionen mit unzureichenden Daten zum Glasaal-Aufkommen.«

Der Aal, ein rätselhafter Fisch

Seit Jahrhunderten faszinieren Europäische Aale die Menschen als geheimnisvolle und erstaunlich vielseitige Tiere. Die nachtaktiven Fische können sowohl in Salz- als auch in Süßwasser leben. So bleibt ein Teil der Glasaale an den Küsten, viele jedoch wandern die Flüsse aufwärts und verbringen den Großteil ihres Lebens in Binnengewässern. Sie wachsen weiter und werden dunkler. Benannt nach ihrem gelblichen Bauch erreichen sie als Gelbaale ihr drittes Entwicklungsstadium.

Massenhaft Glasaale | Nachdem die Weidenblattlarven mehrere Jahre lang bis vor die Küsten Europas gewandert sind, werden sie zu Glasaalen, die weiter in Flüsse und Seen ziehen. In Europa werden jedes Jahr tonnenweise Glasaale gefangen, um damit für die Fischerei gezielt Gewässer zu besetzen. Große Mengen werden auch illegal nach Asien exportiert, wo sie hohe Preise erzielen.

Nach etwa 10 bis 20 Jahren – wobei auch schon 80-jährige Exemplare entdeckt wurden – verwandeln sie sich zum letzten Mal, nämlich in graue Blankaale mit silbrigem Bauch. Damit passiert etwas Entscheidendes: Nun machen sie sich auf den 5000 Kilometer langen und letzten Weg zurück in die Sargassosee, um sich dort fortzupflanzen. Dazu vergrößern sich Flossen und Augen, sie nehmen keine Nahrung mehr zu sich, ihre Geschlechtsorgane bilden sich aus. Wie sie sich im Meer paaren, konnte bis heute nicht beobachtet werden.

Die Sargassosee als mutmaßlichen Geburtsort entdeckte der dänische Biologe Johannes Schmidt, nachdem er Anfang des 20. Jahrhunderts jahrelang den immer kleiner werdenden Aallarven über den Atlantik westwärts entgegengefahren war. Der Beweis gelang einem Forschungsteam um Rosalind Wright erst 100 Jahre später. Es versah Aale nahe den Azoren mit Satellitensendern und konnte so deren Weg in die Sargassosee im Jahr 2022 erstmals direkt verfolgen.

Vom Aussterben bedroht

Der Aalbestand reduzierte sich laut dem Internationalen Rat für Meeresforschung (ICES) im Vergleich zu den Jahren 1960 bis 1979 in den nordeuropäischen Regionen einschließlich der Ostsee auf ein Prozent, in anderen Teilen Europas auf etwa sieben Prozent. Der Europäische Aal ist stark bedroht. Die Empfehlung des ICES ist daher eindeutig. »Der ICES folgt dem Vorsorgeansatz, der in der aktuellen Bestandssituation verlangt, alle menschlich verursachten Sterblichkeiten auf null zu reduzieren«, sagt Marko Freese. Die Fischereibiologen arbeiten mit dem Ziel, Daten und Informationen für ein Bestandsmanagement zu liefern, welches später idealerweise zu einem gesunden, nutzbaren Bestand führen soll.

Der Vorsorgeansatz betrifft Freizeitfischerei, kommerziellen Fang und den Fang von Glasaalen zum gezielten Besatz bestimmter Gewässer. »Sich auf den Aalfang zu konzentrieren, ist potenziell der einfachste Teil des Aalschutzes, weil dies mit einem Schlag möglich ist«, sagt dazu Henrik Svedäng, außerordentlicher Professor am Ostseezentrum der Universität Stockholm. »Durch ein Verbot von Fang und Verkauf lässt sich dies leicht kontrollieren.« Seit den 1980er Jahren beschäftigt sich Svedäng mit Fischereiökologie, seit den 1990er Jahren speziell mit Aalen, und er verfolgt die Entwicklung entsprechend lang.

In der Öffentlichkeit wird häufig diskutiert, dass viele Aale in den Turbinen von Wasserkraftwerken sterben. Die schlanken Fische durchdringen schützende Gitter leicht, und dann bieten sie mit ihrem schlangenähnlichen Körper den rotierenden Schaufeln eine große Angriffsfläche. Bauliche Maßnahmen wie die bekannten Fischtreppen können die Situation etwas entschärfen, und überhaupt ist es Svedäng wichtig, die Süßwasserlebensräume zu verbessern. Das eigentliche Problem liege jedoch woanders: »Heute werden viele Aale zum Beispiel in Frankreich in der Loire gefischt und dann in andere Länder, auch nach Schweden transportiert. Man setzt sie in Seen oberhalb der Kraftwerke aus – nicht des Aals wegen, sondern des Fischfangs wegen«, stellt er fest. »Die Aale sind dort, weil der Mensch sie dorthin transportiert hat und wenn sie schließlich in die Sargassosee zurückkehren wollen, müssen sie die gefährlichen Kraftwerke passieren.«

Aalschutz braucht politische Verantwortung

Seit dem Jahr 2007 ist dem Aal eine eigene EU-Verordnung gewidmet, die Maßnahmen zur Wiederauffüllung des Bestands des Europäischen Aals verlangt. Die EU-Mitgliedstaaten sollen mit Aalmanagementplänen dafür sorgen, dass mehr laichbereite Blankaale zurück in die Sargassosee abwandern können, um sich dort zu vermehren. Mögliche Maßnahmen wären reduzierte Fischerei, Habitatverbesserungen, neu geschaffene Wanderkorridore oder Besatz. Eine unabhängige Evaluierung dieser Aalverordnung durch die Europäische Kommission im Jahr 2019 war jedoch ernüchternd.

»Die Wissenschaft kann lediglich die Daten liefern. Der Schutz der Aale ist eine politische und gesellschaftliche Aufgabe«Marko Freese, Fischereiökologe

Der Aalbestand sei seit 25 Jahren sehr niedrig und bleibe es, analysiert Henrik Svedäng, der auch als wissenschaftlicher Koordinator am Schwedischen Institut für Meeresumwelt (SIME) arbeitet: »Das ist dramatisch, und es ist noch keine Verbesserung erkennbar.« Es zeige, dass die Aalmanagementpläne nicht funktioniert hätten. »Die Umsetzung der Vorschriften scheitert am Widerstand der Mitgliedsstaaten. Es wird viel über kulturelle Aspekte, Fischereitradition und den Aal als beliebten Speisefisch gesprochen. Diese Aspekte sind wichtig, werden meiner Meinung nach aber überbewertet.« Der politische Fokus liege eher auf dem Fisch als wirtschaftlicher Ressource und dem Schutz der Fischerei als auf dem Aal an sich. Freese ergänzt: »Die Wissenschaft kann lediglich die Daten und Grundlagen für ein geeignetes Management liefern. Der Schutz der Aale ist jedoch eine politische und gesellschaftliche Aufgabe.« Damit die Tiere auch in Zukunft ihre beeindruckenden Wanderungen absolvieren können, deren Geheimnisse wir erst allmählich entschlüsseln.

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  • Quellen

Freese, M. et al.: Details on the transport of European eel larvae through the Strait of Gibraltar into the Mediterranean Sea. Scientific Reports 15, 2025

Marohn, L. et al.: Long-term reduction of late-stage European eel larval abundance at the continental slope reflects glass eel recruitment decline. ICES Journal of Marine Science 82, 2025

Wright, R. M. et al.: First direct evidence of adult European eels migrating to their breeding place in the Sargasso Sea. Scientific Reports 12, 2022

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